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Rom-Wallfahrt 1998
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Rom-Wallfahrt 1998

Rom-Wallfahrt zum 10. Jahrestag des Motu proprio "Ecclesia Dei"

Samstag, 24.10.1998:

Veranstaltung im Hotel Ergife

9 Uhr: Vortrag von Kardinal Stickler für englischsprachige Pilger
11 Uhr: Vortrag von Kardinal Ratzinger
anschl.: Podiumsgespräch mit Vertretern aus verschiedenen Ländern:
Dom Gérard OSB, Michael Davies, Prof. Spaemann
15.30 Uhr: Pontifikalamt mit Msgr. Timlin in S. Maria della Scala

Sonntag, 25.10.1998

11.30 Uhr: Pontifikalamt in S. Ignazio, zelebriert von Kardinal Stickler

Montag, 26.10.1998:

12 Uhr: Papstaudienz auf dem Petersplatz
16 Uhr: Schlußandacht/Vesper mit Kardinal Mayer in Santo Spirito in Sassia

Äußerungen von Kardinal Ratzinger nach den verschiedenen Redebeiträgen

Interview mit Joseph Kardinal Ratzinger


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Ansprache von S.H. Papst Johannes Paul II.

am 26. Oktober 1998

I

ch grüße Sie herzlich, liebe Pilger, die Sie Wert darauf gelegt haben, anläßlich des zehnten Jahrestages des Motu Proprio "Ecclesia Dei" nach Rom zu kommen, um Ihren Glauben an Jesus Christus und Ihre Treue zur Kirche zu festigen und zu erneuern. Liebe Freunde, Ihre Anwesenheit beim "Nachfolger Petri, dem es an erster Stelle zukommt, über die Einheit der Kirche zu wachen" (Conc. Oecum. Vat. I, dogmatische Konstitution I Pastor aeternus) ist von besonderer Bedeutung.

Um den Schatz, den Jesus ihr anvertraut hat, zu bewahren und in entschlossener Ausrichtung auf die Zukunft hat die Kirche die Aufgabe, beständig über ihre Bindung an die Tradition nachzudenken, die uns vom Herrn durch die Apostel kommt; - so wie sie sich durch die ganze Geschichte hindurch dargestellt hat. Gemäß dem Geist der Bekehrung des Apostolischen Schreibens Tertio millennio adveniente (nn. 14, 32, 34, 50) ermahne ich alle Katholiken, Zeichen der Einheit zu setzen und ihre Bindung an die Kirche zu erneuern, damit die legitime Vielfalt und die verschiedenen Empfindungsweisen, die der Achtung würdig sind, die Menschen nicht trennen, sondern sie dazu antreiben, gemeinsam das Evangelium zu verkünden; so werden, angetrieben von dem Geist, der alle Charismen zur Einheit zusammenführt, alle den Herrn verherrlichen können und das Heil wird allen Nationen verkündet werden.

Ich wünsche, daß alle Glieder der Kirche die Erben des von den Aposteln empfangenen Glaubens bleiben, der würdig und treu, mit Innigkeit und in Schönheit in den heiligen Geheimnissen gefeiert werde, um in zunehmendem Maße Gnade zu empfangen (cf. Conc. oecum. von Trient, 7. Sitzung am 3. März 1547, Dekret über die Sakramente) und in einer tiefen innigen Beziehung mit der Göttlichen Dreifaltigkeit zu leben.

Zwar bestätigt die Kirche den guten Grund für die Liturgiereform die vom II. Vatikanischen Konzil gewollt und von Papst Paul VI. ins Werk gesetzt wurde, aber sie gibt auch ein Zeichen des Verständnisses jenen gegenüber, die "gewissen älteren Formen der Liturgie und Disziplin verbunden sind" (Motu Proprio "Ecclesia Dei", n. 5). Aus dieser Sichtweise muß man das Motu proprio "Ecclesia Dei" verstehen und anwenden; ich wünsche, daß alles im Geiste des II. Vatikanischen Konzils gelebt wird, in voller Übereinstimmung mit der Tradition, hinstrebend auf die Einheit in der Liebe und die Treue zum Glauben.

Unter dem "Wirken des Heiligen Geistes, durch den die ganze Herde Christi erhalten wird und in der Einheit des Glaubens fortschreitet" (II.Vatikan. Konzil, Dogmat. Konstitution Lumen Gentium, n. 25) lehren der Nachfolger Petri und die Bischöfe, Nachfolger der Apostel, das christliche Mysterium; auf ganz besondere Weise bestätigen und stärken die Bischöfe in den ökumenischen Konzilsversammlungen cum Petro und sub Petro (mit und unter Petrus) die Lehre der Kirche, der treuen Erbin der seit zwei Jahrtausenden als lebendige Wirklichkeit bestehenden Tradition, die in ihrem Fortschreiten der Gesamtheit der kirchlichen Gemeinschaft neuen Schwung gibt. Die letzten ökumenischen Konzilien - das Tridentinische, das I. Vaticanum, das II. Vaticanum - haben sich zur besonderen Aufgabe gemacht, das Geheimnis des Glaubens zu erhellen und zum Wohle der Kirche notwendige Reformen in der Sorge um die Fortführung der apostolischen Tradition, die schon vom hl. Hippolytus schriftlich niedergelegt wurde, durchgeführt.

Es kommt also vor allem den Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri zu, mit Festigkeit und Liebe die Herde zu führen, damit der katholische Glaube überall erhalten

(vgl. Paul VI., apostolische Ermahnung Quinque iam anni; Codex des Kanonischen Rechts, can. 386) und würdig gefeiert werde. In der Tat; gemäß der Lehre des hl. Ignatius von Antiochien "ist dort, wo der Bischof ist, auch die Kirche" (Brief an die Gemeinde von Smyrna, VIII, 2). Ich lade auch die Bischöfe brüderlich ein, Verständnis und erneuerte pastorale Aufmerksamkeit den dem alten Ritus verbundenen Gläubigen zuzuwenden und, an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend, allen Katholiken zu helfen, die Feier der Heiligen Geheimnisse mit einer Andacht zu erleben, die wirkliche Nahrung für ihr geistiges Leben und Quelle des Friedens ist.

Liebe Brüder und Schwestern, ich vertraue Sie der Fürbitte der Jungfrau Maria an, dem vollkommenen Vorbild der sequela Christi und Mutter der Kirche, und erteile Ihnen und allen Ihren Lieben den apostolischen Segen.


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Ansprache von S. Em. Kardinal Felici

beim Hochamt am Sonntag, 25. Oktober 1998, in der Kirche St. Ignatius in Rom - vorgetragen von Monsignore Perl:

Meine lieben Brüder in Christus,

seid willkommen in dieser ehrwürdigen Kirche des hl. Ignatius, willkommen in Rom, der ewigen Stadt, der Stadt der Päpste, seid willkommen im Hause des Vaters. Ihr seid gekommen aus verschiedenen Ländern, ja Kontinenten, ihr sprecht verschiedene Sprachen, aber ihr seid von demselben Geist beseelt, der der Geist der katholischen Kirche ist. Gemeinsam seid ihr nach Rom gekommen, um Dank zu sagen für das große Geschenk, das der Hl. Vater, Johannes Paul II., euch gemacht hat durch die Publikation seines Motu Proprio "Ecclesia Dei", das euch von neuem Heimatrecht in der Kirche gegeben hat indem es euch erlaubte, die Zelebration der alten lateinischen Liturgie fortzusetzen. Für viele von euch war dieser päpstliche Akt eine seit langem erwartete Befreiung, anderen ermöglichte er nun, sich friedlich des Rechts zu erfreuen, einer Liturgie beizuwohnen, die im ehrwürdigen römischen Ritus gefeiert wird, die in dieser Form seit Jahrhunderten besteht, diese Form, die Sie noch heute bevorzugen. Für euch alle ist diese Wallfahrt nach Rom eine Gelegenheit, dem Hl. Vater für dieses Geschenk zu danken, und ihr werdet die konkrete Möglichkeit haben es zu tun bei der päpstlichen Audienz, die morgen, Montag mittag, stattfinden wird.

Aber vor allem danken wir heute gemeinsam dem Herrn, unserem Gott, so wie wir eingeladen werden in jeder hl. Messe: "Gratias agamus Domino Deo nostro", "laßt uns danken dem Herrn, unserem Gott", "dignum et justum est", "das ist würdig und recht". In der Epistel der heutigen Messe sagt uns der hl. Apostel Paulus (mit wunderbaren Worten), was der wahre Sinn unserer Danksagung ist (jenseits aller menschlichen Gründe, die oft zeitbedingt sind, wie Jahrestage und Jubiläen): "Wir sagen Gott, dem Vater, Dank, der uns gewürdigt hat, teilzuhaben am Erbe der Heiligen im Licht". Das ist der tiefste Sinn jeder christlichen Danksagung, wie Jesus selbst zu seinen Jüngern gesagt hat: "Freut euch, daß eure Namen eingeschrieben sind im Himmel". Er, Gott der Vater, ist es, der uns gewürdigt hat, (uns, die ganz und gar unwürdig waren), einzutreten in das Erbe der Heiligen. Welche fast gewagte Sprache! Wir, mit den Heiligen des Himmels! Aber der hl. Paulus geht noch weiter, auf eine sehr realistische Weise: "Gott hat uns der Gewalt der Finsternis entrissen", wir waren also am Anfang in den Finsternissen des Irrtums und der Sünde, auch wir, das darf man niemals vergessen, "und hat uns in das Reich Seines geliebten Sohnes versetzt".

Das Königtum Jesu Christi: Jesus ist also wahrhaft König. Er hat klar und deutlich zu Seinem Richter Pontius Pilatus gesagt, der Ihn über dieses Königtum befragte: "Du bist also ein König?" "Du sagst es: Ich bin ein König." Jesus hat auch die Natur Seines Königtums präzisiert: "Mein Königreich ist nicht von dieser Welt." Deshalb hat die Kirche Grund, das Königtum Christi "ein Reich der Wahrheit und des Lebens, ein Reich der Heiligkeit und der Gnade, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens" zu nennen.

Aber leider hat in der ganzen Geschichte der Menschheit ein solches Königreich niemals existiert, und es existiert auch heute nicht. Jesus hat uns den Grund dafür geoffenbart, wenn Er die Welt "das Reich der Mächte der Finsternis" nennt, diese Finsternis, die nicht Gott gehorcht, sondern dem Fürsten der Finsternis, Satan. Jesus ist gekommen, Zeugnis zu geben von der Wahrheit und die Finsternis der Lüge zu bekämpfen. Er ist gekommen, ein Reich des Lichtes und der Wahrheit zu errichten, das Reich Gottes. Aber Er hat uns darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Reich nur langsam wächst, und daß es in Koexistenz mit dem Reich Seines Feindes leben wird bis zum Ende der Tage, bis zum Tage des Gerichts. Erst dann wird das Reich Christi sich sichtbar offenbaren und das einzige sein in alle Ewigkeit.

Uns Christen ist eine große Berufung zuteil geworden: Zeugen des Reiches Christi zu sein, dem wir jetzt schon angehören. Wie sollen wir das tun? Indem wir zunächst in uns selbst das Reich Gottes wachsen lassen, indem wir nach der Wahrheit des Evangeliums leben, indem wir aufmerksam die Stimme der Wahrheit hören, die Stimme Jesu, Tag für Tag. Indem wir in unserem Leben mehr und mehr dieses göttliche Licht leuchten lassen, das die heiligmachende Gnade ist, die uns im Augenblick unserer Taufe gegeben wurde - diesem denkwürdigen Augenblick für uns, wo Gott uns in Sein Reich versetzt hat und Bürgerrecht in diesem Reich gegeben hat.

Laßt uns in der Freude dieser Wirklichkeit leben, laßt sie uns immer gegenwärtig sein und laßt uns als würdige Bürger des Königreichs Christi leben.


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Ansprache von S. Em. Joseph Kardinal Ratzinger

am 24. Oktober 1998

Zehn Jahre Motu proprio "Ecclesia Dei" - welche Bilanz können wir in diesem Augenblick ziehen? Ich denke, zunächst und vor allem gibt es da Grund zur Dankbarkeit. Die verschiedenen Gemeinschaften, die auf dem Boden des Motu proprio entstanden sind, haben der Kirche eine große Zahl von Priester- und Ordensberufen geschenkt, die mit Eifer und Freude und in tiefer innerer Einheit mit dem Papst den Dienst für das Evangelium in dieser Zeit tun. Sie haben viele Gläubige in der Freude an der Liturgie und in der Liebe zur Kirche bestärkt oder sie neu geschenkt. In nicht wenigen Bistümern der Welt vollzieht sich ihr Dienst in einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Bischöfen und in einem guten, brüderlichen Verhältnis mit den Gläubigen, die sich in der erneuerten Form der Liturgie zu Hause fühlen. All dies muß in dieser Stunde Grund zur Dankbarkeit sein.

Aber es wäre unrealistisch zu verschweigen, daß es an vielen Orten nach wie vor Schwierigkeiten gibt, weil Bischöfe, Priester und Gläubige die Anhänglichkeit an die alte Liturgie - die liturgischen Bücher von 1962 - als ein Element der Spaltung ansehen, das den Frieden der Gemeinden stört und Vorbehalte in der Annahme des Konzils wie überhaupt im Gehorsam gegen die rechtmäßigen Hirten der Kirche vermuten läßt. Unsere Frage muß sein: Wie können diese Schwierigkeiten überwunden werden; wie kann Vertrauen geschaffen werden, so daß sich die Gruppen und Gemeinschaften, die die alte Liturgie lieben, friedvoll und fruchtbar ins gemeinsame Leben der Kirche einfügen können? Diesen Fragen liegt eine andere voraus: Was ist der eigentliche Grund für das Mißtrauen oder gar für die Ablehnung eines Fortbestehens der alten Formen liturgischen Feierns? Zweifellos kann es da zunächst vortheologische Gründe geben, die am Temperament der einzelnen Menschen, am Gegensatz der Charaktere oder an anderen äußeren Umständen hängen. Aber sicher gibt es auch tiefer liegende und weniger zufällige Ursachen für die Probleme.

Die beiden Begründungen, die am meisten genannt werden, sind mangelnder Gehorsam dem Konzil gegenüber, das nun einmal die liturgischen Bücher erneuert habe, sowie die Spaltung der Einheit, die sich aus den unterschiedlichen Formen der Liturgie ergebe. Beide Gründe lassen sich zunächst verhältnismäßig leicht auflösen. Das Konzil hat zwar nicht selbst die liturgischen Bücher erneuert, wohl aber hat es den Auftrag zu deren Revision erteilt und dafür einige Grundsätze festgelegt. Vor allem aber hat es eine Wesensbestimmung von Liturgie gegeben, die das innere Maß der einzelnen Reformen vorgibt und zugleich den beständigen Maßstab rechten liturgischen Feierns ausdrückt. Der Gehorsam gegenüber dem Konzil wäre dann verletzt, wenn diese wesentlichen inneren Maßstäbe mißachtet und die "normae generales" beiseite geschoben würden, die in den Abschnitten 34-36 der Liturgiekonstitution formuliert sind. Nach diesen Maßstäben ist sowohl die Feier der Liturgie nach den alten wie nach den neuen Büchern zu beurteilen, denn das Konzil hat - wie schon gesagt - nicht Bücher vorgeschrieben oder abgeschafft, sondern Grundnormen gegeben, die in allen Büchern respektiert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist an die Feststellung von Kardinal Newman zu erinnern, daß die Kirche nie in ihrer Geschichte rechtgläubige Formen von Liturgie einfach abgeschafft oder verboten hat - das wäre dem Geist der Kirche durchaus fremd. Eine rechtgläubige Liturgie ist ja nie eine bloß pragmatisch geschaffene Zusammenstellung von Zeremonien, die man dann positivistisch heute so und morgen anders verfügen könnte. Rechtgläubige Formen eines Ritus sind lebendige Wirklichkeiten, die aus dem liebenden Dialog der Kirche mit ihrem Herrn gewachsen sind, Lebensgestalten der Kirche, in denen sich der Glaube, das Beten und das Leben von Generationen verdichtet und in denen das Miteinander von Gottes Handeln und Antwort des Menschen Form gefunden hat. Solche Riten können absterben, wenn das sie tragende Subjekt in der Geschichte verschwindet oder sich mit seinem Erbe einem anderen Lebensraum einfügt. Die Autorität der Kirche kann in wechselnden geschichtlichen Situationen den Gebrauch solcher Riten umschreiben und einschränken, aber sie verbietet sie nie einfach. So hat das Konzil den Auftrag zu einer Erneuerung der liturgischen Bücher und damit auch ritueller Gestaltungen gegeben, aber nicht ein Verbot von Büchern formuliert. Der Maßstab des Konzils ist zugleich weiträumiger und anspruchsvoller; er fordert alle zur Selbstprüfung heraus.

Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen müssen. Zunächst ist aber noch das Argument der Störung der Einheit zu bedenken. Da muß man wohl zwischen der theologischen und der praktischen Seite der Frage unterscheiden. Was das Theoretische, das Grundsätzliche angeht, so hat es immer mehrere Formen von lateinischen Riten gegeben, die mit der Vereinheitlichung der Lebensräume in Europa allmählich zurückgetreten sind, aber bis zum Konzil gab es neben dem römischen den ambrosianischen Ritus, den Ritus von Toledo, den Ritus der Dominikaner, vielleicht auch noch andere, mir nicht bekannte. Niemand hat daran Anstoß genommen, daß die Dominikaner, die ja durchaus in unseren Pfarreien gegenwärtig waren, die Messe etwas anders feierten als der Pfarrer. Wir wußten, daß die eine Weise so katholisch war wie die andere und freuten uns des Reichtums der Überlieferungen. Des weiteren ist zu sagen, daß die Freiräume der Kreativität, die der neue Meßordo läßt, nicht selten überdehnt werden und daß der Unterschied zwischen den einzelnen örtlichen Anwendungen der neuen Bücher oft größer ist als der Unterschied zwischen alten und neuen Büchem, wenn sie in ihrem eigenen Bestand an Texten und Riten streng beobachtet werden. Ein lateinisches Hochamt nach dem alten und nach dem neuen Missale ist für den liturgisch weniger gebildeten Christen kaum zu unterscheiden, während der Unterschied zwischen der getreulich nach dem neuen Meßbuch gefeierten Liturgie und den "kreativ" ausgeweiteten Formen muttersprachlicher Zelebration gewaltig sein kann.

Damit haben wir aber die Ebene des Theoretischen schon überschritten und sind im Bereich des Praktischen angelangt, wo natürlich die Dinge komplizierter sind, weil es sich ja um das Miteinander von lebendigen Menschen handelt. Die Aversionen sind - wie mir scheint - deshalb so groß, weil man die beiden Weisen liturgischen Feierns mit zwei unterschiedlichen spirituellen Haltungen verbindet, zwei verschiedenen Weisen, die Kirche und das Christsein überhaupt zu verstehen. Das hat mancherlei Gründe. Es liegt zuallererst aber daran, daß man die beiden liturgischen Gestalten an äußeren Elementen ihrer Form mißt und von daher dann auch zu gegensätzlichen Grundhaltungen kommt. Als wesentlich für die erneuerte Liturgie sieht der Durchschnittschrist an, daß sie muttersprachlich ist, daß sie in Zuwendung zum Volk gefeiert wird, daß Gestaltungsfreiheiten sind und daß Laien aktive Funktionen in der Liturgie ausüben. Als wesentlich für die Feier nach den alten Büchern sieht man an, daß sie in lateinischer Sprache erfolgt, daß der Priester zum Altar gewendet steht, daß der Ritus streng vorgegeben ist und daß die Gläubigen in stillem Beten der Messe folgen, ohne selbst aktive Funktionen auszufüllen. Die Phänomenologie der Liturgie ist entscheidend für ihre Aufnahme, nicht das, was sie selbst als das Wesentliche versteht. Damit freilich mußte man rechnen, daß der Gläubige die Liturgie von den konkreten Formen ihrer Erscheinung her deutet, von ihr her spirituell bestimmt wird und nicht ohne weiteres ihre tieferen Schichten wahrnimmt. Zu den eben aufgezählten Gegensätzen ist nämlich zu sagen, daß sie aus Geist und Buchstaben des Konzils keineswegs abzuleiten sind. Die Konzilskonstitution selbst spricht überhaupt nicht von der Zuwendung zum Altar oder zum Volk. Sie sagt über die Sprache, daß das Latein bewahrt werden müsse, aber der Muttersprache mehr Raum zu geben sei, besonders "in den Lesungen und Hinweisen (admonitionibus) und in einigen Orationen und Gesängen" (36 § 2). Was die Beteiligung der Laien angeht, so betont das Konzil zunächst ganz allgemein, daß die Liturgie ihrem Wesen nach vom ganzen Leib Christi, Haupt und Glieder, getragen wird (7), daß daher ihre Feier "den ganzen mystischen Leib der Kirche angeht" (26) und daß sie demgemäß auf "gemeinschaftliches Feiern mit Beteiligung und tätiger Teilnahme der Gläubigen angelegt" ist (27). Das wird dann so konkretisiert: "Bei den liturgischen Feiern soll jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgaben nur das und all das tun, was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt" (28). "Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden" (30).

Diese Maßgaben des Konzils müssen allen zu denken geben. Es gibt gerade in Kreisen mancher moderner Liturgiker Tendenzen, zwar den konziliaren Ansatz aufzugreifen, ihn aber in einer Weise einseitig weiter zu entwickeln, daß die Intentionen des Konzils auf den Kopf gestellt scheinen. Die Stellung des Priesters wird von manchen aufs rein Funktionale reduziert. Die Tatsache, daß der ganze Leib Christi Subjekt der Liturgie ist, wird dahin umgebogen, daß die jeweilige Gemeinde das eigentliche Subjekt der Liturgie sei und darin die Rollen verteile. Es gibt eine bedenkliche Tendenz, den Opfercharakter zu minimalisieren, das Moment des Mysteriums und überhaupt das Sakrale über dem Anliegen schneller Verständlichkeit fast ganz verschwinden zu lassen. Schließlich ist die Tendenz zu beobachten, durch eine einseitige Betonung des gemeindlichen Charakters des Gottesdienstes eine Fragmentierung der Liturgie herbeizuführen, die jeweils Sache der Gemeinde sei, die selbst über die Form ihrer Feier entscheide. Es gibt aber gottlob inzwischen auch einen großen Überdruß an den banalen Rationalismen und Pragmatismen solcher Theoretiker und Praktiker der Liturgie und eine entschiedene neue Zuwendung zum Mysterium, zur Anbetung, zum Sakralen, zum kosmischen und eschatologischen Charakter der Liturgie, wofür die Oxford-Declaration on Liturgy von 1996 ein eindrucksvolles Beispiel ist. Andererseits muß man zugeben, daß die Feier der alten Liturgie oft zu sehr ins Individualistische und Private abgesunken war, daß die Gemeinschaft von Priester und Volk ungenügend gewesen ist. Ich habe großen Respekt vor unseren Vorfahren, die während der stillen Liturgie aus ihren Meßbüchem ihre Meßandachten beteten, aber als ideale Form liturgischen Feierns kann man dies gewiß nicht ansehen. Vielleicht sind solche reduktionistische Weisen liturgischer Feier sogar der eigentliche Grund dafür, weshalb in vielen Ländern das Verschwinden der alten liturgischen Bücher überhaupt nicht als ein einschneidender Vorgang empfunden wurde. Man war gar nicht mit der Liturgie selbst in Berührung gekommen. Der Schmerz der eine hastig und oft äußerlich durchgeführte Reform ist da entstanden, wo die Liturgische Bewegung Liebe zur Liturgie geschaffen und wesentliche Postulate des Konzils, nämlich die betende Einbeziehung aller in das gottesdienstliche Geschehen, vorweggenommen hatte. Wo es gar keine Liturgische Bewegung gab, ist die Liturgiereform zunächst schmerzlos vor sich gegangen. Unbehagen ist erst da und dort aufgestiegen, wo willkürliche Kreativität das Mysterium verschwinden ließ. Deswegen ist es wichtig, daß bei der Feier der Liturgie nach den alten Büchern die wesentlichen Maßstäbe der Liturgiekonstitution eingehalten werden, die ich eben zitiert habe. Wenn diese Liturgie wirklich die Gläubigen mit ihrer Schönheit und Tiefe erreicht, dann wird sie geliebt, dann steht sie aber auch in keinem unversöhnlichen Gegensatz zu den neuen Büchern, wo diese wiederum in wahrhaft konzilsgemäßer Form angewandt werden.

Natürlich bleiben unterschiedliche spirituelle und theologische Akzentuierungen bestehen, aber die sind dann nicht mehr gegensätzliche Weisen des Christseins, sondern Reichtum des einen Glaubens. Als vor etlichen Jahren das Stichwort einer neuen Liturgischen Bewegung in die Debatte geworfen wurde, wodurch das Auseinanderdriften beider liturgischen Formen gebremst und ihre innere Konvergenz neu sichtbar werden solle, haben einige Freunde der alten Liturgie gefürchtet, dies sei ein Trick, um doch endlich die alten Bücher ganz verabschieden zu können. Solche Ängstlichkeiten sollten aufhören. Wenn in beiden Weisen des Feiems deutlich die Einheit des Glaubens und die Einzigkeit des Mysteriums erscheint, kann das für alle nur Grund der Freude und der Dankbarkeit sein. Je mehr wir alle aus solcher Gesinnung heraus glauben, leben und handeln, desto mehr werden wir auch die Bischöfe überzeugen können, daß die Präsenz der alten Liturgie nicht ein Störungselement und eine Bedrohung der Einheit ist, sondern eine Gabe, die dem Aufbau des Leibes Christi dient, dem wir alle verpflichtet sind. So möchte ich Sie, liebe Freunde, ermutigen, die Geduld nicht zu verlieren, das Vertrauen zu bewahren und aus der Gabe der Liturgie die Kraft zum Zeugnis zu nehmen, das Christus hineinträgt in diese unsere Zeit.


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Stellungnahme des hochw. Abtes Dom Gérard, OSB

(Abtei Ste Madeleine in Le Barroux) nach dem Vortrag von Kardinal Ratzinger am 24. Oktober 1998:

Herr Kardinal, wir sind hier vor allem, um dem Hl. Vater zu danken dafür, daß er das Motu Proprio "Ecclesia Dei" unterzeichnet und veröffentlicht hat. Dieses große Dokument ist ein feierlicher Akt des Magisteriums, durch das der Zutritt zur traditionellen Liturgie möglich gemacht und ein jahrhundertealter Ritus aus seinen Fesseln befreit wurde.

Zweitens wissen wir sehr wohl, Herr Kardinal, daß wir Eurer Eminenz vor allem unsere Dankbarkeit ausdrücken müssen, denn Sie waren im Zentrum aller Schritte, die der hl. Stuhl unternommen hat, um einerseits dem ein Ende zu machen, was man eine schreckliche liturgische Unordnung nennen muß, andererseits aber der ungeeigneten Reaktion gewisser traditionalistischer Milieus, die in ihrer Anhänglichkeit an den alten Ritus verletzt worden waren.

Vergessen wir schließlich nicht, die hingebungsvolle Arbeit der verschiedenen Kardinalpräsidenten, des Sekretärs und des Personals der päpstlichen Kommission "Ecclesia Dei" zu erwähnen, die sich unter den erschwerten Bedingungen eines oft begrenzten Handlungsspielraums vollziehen mußte.

Andererseits erlaube ich mir, mich zum Sprachrohr einer ungeheuren Bekümmerung zu machen, einer Bekümmerung von vielen oft jungen Gläubigen, die uns von allen Enden Frankreichs in Hunderten von Briefen schreiben, und die betrübt sind über das Schweigen, das die Bischöfe dem "Schrei der Armen" entgegensetzen. Sie werden degradiert zu Bürgern 2. Klasse wegen der Wahl eines traditionellen Katechismus und eines traditionellen Kultes. Viele Gläubige haben im übrigen die Kirche (oder wenigstens die Kirchen) mit leisen Schritten verlassen. Der Schaden ist so groß, daß Sie selbst, Eminenz, schreiben konnten: "Ich bin überzeugt, daß die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht, die mitunter sogar so konzipiert wird, «etsi Deus non daretur»" (als wenn es Gott nicht gäbe).

Eine der Lösungen dieser Krise präsentierte demgegenüber am 2. Juli 1988 der Hl. Vater in seinem apostolischen Brief "Ecclesia Dei", indem er erklärte: "All jenen katholischen Gläubigen, die sich an einige frühere Formen in der Liturgie und Disziplin der lateinischen Tradition gebunden fühlen, möchte ich auch meinen Willen kundtun - und wir bitten, daß sich der Wille der Bischöfe und all jener, die in der Kirche das Hirtenamt ausüben, dem meinen anschließen möge -, es ihnen leicht zu machen, in die kirchliche Gemeinschaft zurückzukehren, durch die notwendigen Maßnahmen, welche die Berücksichtigung ihrer gerechtfertigten Wünsche sicherstellen. ... Ferner muß überall das Empfinden derer geachtet werden, die sich der Tradition der lateinischen Liturgie verbunden fühlen, indem die schon vor längerer Zeit vom Apostolischen Stuhl herausgegebenen Richtlinien zum Gebrauch des Römischen Meßbuchs in der Editio typica vom Jahr 1962 weit und großzügig angewandt werden."

Leider aber haben sich zu wenige Bischöfe dem Willen des Hl. Vaters angeschlossen. So haben in Frankreich nur die Hälfte der Diözesen wenigstens einen Gottesdienstort den Personen gewährt, die den traditionellen Formen der lateinischen Liturgie anhängen. Auch muß man feststellen, daß eine restriktive Interpretation des Motu Proprio "Ecclesia Dei" dazu geführt hat, daß die Benutzung des gottesdienstlichen Raumes auf die Zelebration des eucharistischen Opfers und des Sakraments der Beichte beschränkt wird, ohne daß von den anderen Sakramenten die Rede ist. Zudem wird die Zelebration der Messe selbst im allgemeinen auf den Sonntag, ja oft auf einen Sonntag im Monat beschränkt. Und nur wenige Bischöfe erlauben den Priestern, die diesen "traditionalistischen" Dienst versehen, darüber hinaus Religionsunterricht, Ehevorbereitung usw. zu geben. Kann man da noch von einer "Achtung vor unserem Empfinden" und von "einer weiten und großzügigen Anwendung" sprechen? Wir möchten hier trotz allem unter den Ausnahmen die Diözesen von Versailles, von Paris, von Lyon, von Saint-Dié, von Fréjus-Toulon, von Perpignan, von Gap, von Straßburg erwähnen, um nur die hauptsächlichen zu nennen. Manche Bischöfe argumentieren, daß eine liberalere Haltung ihre Diözese spalten würde. Aber das heißt vergessen, daß, wie "Ecclesia Dei" erklärt, "alle Hirten und übrigen Gläubigen aufs neue nicht nur die Autorität, sondern auch den Schatz der Kirche anerkennen müssen, die sich auf die Vielzahl der Charismen sowie der Traditionen der Spiritualität und des Apostolats stützen, und auch die Schönheit der Einheit in der Vielgestaltigkeit bewirken (jener Harmonie, die die irdische Kirche, vom Heiligen Geist dazu angeregt, zum Himmel emporsteigen läßt)." Warum also schonungslos die Bitten der Katholiken zurückweisen, die eine Liturgie verlangen, die verschieden ist von der am häufigsten praktizierten? Im übrigen, existiert denn im Bereich dieser Liturgie Einheit? Sind denn die französischen Pfarreien zahlreich, wo die Liturgie Pauls VI. strikt entsprechend der Editio typica des Missale von 1970 gefeiert wird?

In seinem apostolischen Schreiben "Apostolos suos" erinnert seine Heiligkeit daran, daß der Diözesanbischof in der ihm anvertrauten Diözese die ordentliche und unmittelbare Autorität besitzt, die für die Ausübung seiner pastoralen Aufgabe notwendig ist, mit Ausnahme derjenigen Angelegenheiten, die das Recht oder ein päpstliches Dekret der höchsten Autorität oder einer anderen kirchlichen Autorität vorbehält. Es scheint deshalb notwendig, vom Heiligen Stuhl eine authentische Interpretation zu verlangen, die juristisch präzisiert, wie das Motu Proprio "Ecclesia Dei" anzuwenden ist. So wäre es nützlich, wenn ein Brief des Heiligen Stuhls an alle Diözesanbischöfe verschiedene Lösungswege aufzeigen würde. Uns scheint es hilfreich, die folgenden zu nennen:

An erster Stelle scheint es unerläßlich, daß die Vollmachten der päpstlichen Kommission "Ecclesia Dei" ausgeweitet werden, um die zahlreichen ausweglosen Situationen aufzulösen.

Auf der nächsten Stufe möchte ich zunächst ein Statut erwähnen, das inspiriert ist von dem der Militärdiözesen, das durch die apostolische Konstitution "Spirituali militum curae" ausgearbeitet wurde. Diese juristische Figur ist sehr offen. Sie hätte den Vorteil, den Gläubigen, die das wünschen, die Möglichkeit zu eröffnen, für die "traditionalistischen" Gottesdiensthandlungen und Gottesdienstorte von einer Autorität des "traditionellen Ritus" abzuhängen, während sie weiterhin vom Diözesanbischof abhängen in Bezug auf alle anderen gottesdienstlichen Akte und Orte. Es ist bedauerlich, daß diese Lösung, die schon von unseren amerikanischen Freunden vorgeschlagen wurde, nicht genauer untersucht wurde, sei es in Gestalt einer solchen "Diözese" in den einzelnen Ländern, sei es auf internationaler Ebene.

Eine andere, ähnliche Lösung: Die Einrichtung einer Art von apostolischem Vikar für die "Traditionalisten" in Anwendung des Motu Proprio "Ecclesia Dei". Bis heute kennen wir nicht die Position des apostolischen Stuhls in Bezug auf diese Idee, die schon 1990 vorgeschlagen wurde. Man könnte sogar, in abgewandelter Form, einen apostolischen Delegierten ernennen, der von der Kommission "Ecclesia Dei" abhängig und sozusagen deren reisender Repräsentant wäre mit dem Auftrag, den Diözesanbischöfen entweder eine Lösung vorzuschlagen, die von ihnen abhängt (wie sie bereits in mehreren Diözesen existiert) oder, wenn sie sich lieber mit dem "traditionalistischen Gottesdienst" gar nicht befassen wollen, eine Lösung, die ihrer Sorge entzogen ist, und die von Fall zu Fall von dem apostolischen Delegierten abhängen würde. Dieser Weg scheint uns in dieser neuen Form äußerst interessant zu sein.

Drei andere Lösungen sind noch möglich und sind auf örtlicher Ebene schon mit Gewinn versucht worden:

Zuerst die gewöhnliche Pfarrei, aber geteilt zwischen zwei Pfarrern "in solidum", von denen der eine die Zelebration des neuen Ritus gewährleistet und der andere die des alten. Dies war neun Jahre in der Kirche St. Eugène in Paris der Fall.

Zweitens wiederum die Pfarre, aber so, daß der Pfarrer selbst die Zelebration beider Riten gewährleistet, das ist seither der Fall in derselben Kirche.

Schließlich die "Personalpfarrei", die ganz und ausschließlich der Sorge einer Priestergemeinschaft anvertraut ist, die unter der Leitung der päpstlichen Kommission "Ecclesia Dei" steht. Dies ist der Fall in der Diözese von Versailles, z. B. in Notre-Dame-des-Armées und in Port-Marly. Wir erwähnen hier dankbar die Freundlichkeit, mit der der Ortsbischof, Monsignore J. Ch. Thomas, diese Lösungen ausgearbeitet hat, die auch unsere Zustimmung besitzen. Aber was soll man tun, wenn ein Bischof analoge Lösungen nicht einrichten will? Dann befindet man sich wieder vor dem Ausgangsproblem. Jedenfalls würde ein Hinweis des Hl. Stuhles an die bisher widerstrebenden Bischöfe auf das Funktionieren eines solchen Vorgehens in bestem Einvernehmen zweifellos dazu führen, noch andere davon zu überzeugen.

Im übrigen wäre es wünschenswert, erneut die Möglichkeit für alle Priester ins Auge zu fassen, nach ihrer eigenen Wahl nach dem Missale von 1962 oder dem von 1970 zu zelebrieren. In der Erwartung, daß diese Lösung einmal in Kraft treten wird, verlangen wir wenigstens die Einfügung des Ordo missae von 1962 als Faszikel ad libitum in jede Edition des neuen Missale, so daß jeder Priester es für die Zelebration der hl. Messe benutzen kann. Das hätte nicht nur den Vorteil, wenigstens teilweise die Wünsche der Gläubigen zu befriedigen, die nach dem alten Ritus verlangen, sondern auch die Priester, die nach dem neuen Ritus zelebrieren, in ihrer Frömmigkeit zu unterstützen. So sind 200 französische und ausländische Priester, im allgemeinen junge Priester, in unser Kloster gekommen, um die Zelebration der hl. Messe nach dem alten Missale zu erlernen (oder wieder zu lernen, im Falle der weniger jungen Priester). Unter ihnen hat uns ein amerikanischer Priester gestanden, daß die Einführung in den klassischen Ritus es ihm ermöglicht hat, auch den neuen Ritus, an den er normalerweise gebunden ist, besser zu zelebrieren. Das ist die Ausstrahlung und die erzieherische Kraft unserer großen traditionellen Liturgie.

Schließlich verlangen wir inständig, daß dieser Krieg der Riten, der die Individuen und die Familien zerreißt, endlich und für immer aufhört. Die Gläubigen, die von dem Motu Proprio "Ecclesia Dei" betroffen sind, wünschen von ganzem Herzen, daß die weitverbreitete Verfolgung einem soliden und dauerhaften liturgischen Frieden Platz macht, wo niemand des Verrats bezichtigt wird und wo entsprechend den Versprechungen des Hl. Stuhls "alle Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Identität in der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche zu garantieren".

Der Skandal der Spaltung muß aufhören, um Platz zu machen für die Eintracht, die Zusammenarbeit und die Einheit. In diesem Geiste des Friedens und der Communio habe ich im April 1995 mit dem Hl. Vater konzelebriert, um dadurch zu zeigen, daß wir alle, die wir für die Aufrechterhaltung des alten Meßbuchs kämpfen, an die Gültigkeit und Rechtgläubigkeit des neuen Ritus glauben. Im übrigen erklären wir mit Monsignore Madek, dem Bischof von Frejus-Toulon: "Eine Revision der liturgischen Reform ist möglich und wünschenswert. Sie würde vielleicht den Frieden in den Geistern und den Herzen wieder herstellen."

Fassen wir die drei hauptsächlichen Lösungen zusammen, die wir weiterhin vorschlagen:

Erweiterung der Vollmachten der Kommission "Ecclesia Dei" oder Errichtung einer Zwischeninstanz, die unter ihrer Leitung stünde in der Gestalt eines apostolischen Delegaten, der alle Probleme am Ort mit den Diözesanbischöfen regelt. Die Errichtung von Personalpfarreien durch die Autorität des Bischofs oder des Hl. Stuhles in jeder Diözese, wo eine Mindestzahl von Gläubigen dies verlangt. Die Einfügung des alten Ordo missae ad libitum in alle neuen Missale und die Erlaubnis für alle Priester, nach dem Missale von 1962 zu zelebrieren. Wir schließen mit dem Zitat eines wohlbekannten Wahlspruches: Opus justitiae pax. Der liturgische Friede ist auch das Werk der Gerechtigkeit und, so wagen wir hinzuzufügen, das Werk der Liebe.


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Erklärung von Michael Davies

(Vorsitzender der Internationalen UNA VOCE Föderation) am 24. Oktober 1998:

Eminenz, verehrter Herr Kardinal,

1975 stellte Pfarrer Loius Bouyer fest: "Die katholische Liturgie wurde unter dem Vorwand vernichtet, sie für die verweltlichten Massen annehmbarer zu machen." Von einem liberalen Standpunkt aus schrieb Pfarrer Joseph Gelineau im darauffolgenden Jahr: "Dies muß ohne Zweideutigkeit gesagt werden: Der römische Ritus, wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr (le rite romain tel que nous l’avons connu n’existe plus). Er wurde zerstört (il est détruit)." Er teilte uns außerdem mit, daß "die Liturgie eine ständige Baustelle ist (la liturgie est un chantier permanent)". Zehn Jahre später machten Eure Eminenz in Ihrem Buch Fest des Glaubens dieselbe Beobachtung, als Sie fragten: "Gibt es überhaupt noch einen lateinischen Ritus? Sicherlich existiert kein Bewußtsein mehr davon. Den meisten Leuten erscheint die Liturgie vielmehr als etwas, was die jeweilige Versammlung gestalten kann."

Überall in der gesamten englischsprachigen Welt gibt es kein Zeichen für eine liturgische Erneuerung, sondern nur dafür, was Msgr. Klaus Gamber beschrieb als "eine liturgische Zerstörung von bestürzendem Ausmaß". Dies spiegelt sich wider in den Zahlen der Meßbesucher in allen diesen Ländern: In den Vereinigten Staaten haben seit 1965 25 Millionen Katholiken aufgehört, die Messe mitzufeiern. In England und Wales ist aus einem jährlichen Zuwachs des Meßbesuchs vor 1965 ein jährlicher Rückgang von solch katastrophalem Ausmaß geworden, daß - wenn es im derzeitigen Verhältnis weitergeht - die Kirche dort innerhalb der nächsten dreißig Jahre aufgehört haben wird zu existieren. Das Ausmaß der Abnahme in Ländern wie Australien und Schottland ist noch ernster. Ein wichtiges Mitglied der Kurie teilte meinem Vorgänger, Dr. Eric von Saventhem, mit, daß die Liturgiereform "von der überwiegenden Mehrheit der Gläubigen fruchtbar aufgenommen und umgesetzt wurde". Wie kann dies der Fall sein, wenn die überwiegende Mehrheit der Gläubigen - fünfundsiebzig Prozent in den westlichen Ländern - nicht länger an der Messe teilnimmt, und in vielen Ländern dieser Prozentsatz noch viel höher liegt?

Ich habe einen bedrückend vollen Aktenordner mit Beschwerden von Una Voce Vereinigungen in Ländern, die von den Vereinigten Staaten bis Nepal reichen, über Bischöfe, die höfliche Anträge für die Zelebration der Messe nach den Büchern von 1962 ablehnen. Diese Ablehnungen sind manchmal in einer schroffen und sarkastischen Form gehalten - und das von Bischöfen, die jede Art von liturgischen Mißbräuchen in ihren Diözesen zulassen. Der am häufigsten genannte Grund, eine Genehmigung zu verweigern, ist die Behauptung, das Meßbuch von 1962 führe zu Spaltungen - allerdings ist dies in den Diözesen, in denen eine Genehmigung erteilt wurde, nicht eingetreten. Das ist etwas, was Msgr. Timlin, der Bischof von Scranton, der heute hier ist, bezeugen kann. Msgr. Timlin hat das Motu proprio in seiner Diözese genau so umgesetzt, wie es der Heilige Vater wollte, und traditionsverbundene Gläubige in der ganzen Welt schulden ihm großen Dank für sein großartiges Beispiel. Die Verwendung des Meßbuchs von 1962 hat viele abständige Katholiken, insbesondere junge Leute, zur Kirche zurückgeführt. Ein Kennzeichen der Pfarreien, in denen es verwendet wird - von Notre Dame des Armeés in Versailles bis St. John Cantius in Chicago - ist der hohe Anteil von jungen Ehepaaren mit vielen Kindern, die jeden Sonntag anwesend sind, sowie die Entstehung von Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben. In den Vereinigten Staaten, wo andauernd Priesterseminare schließen und wo die Zahl der Seminaristen seit 1965 von 48000 auf weniger als 4000 zurückgegangen ist, baut die Priesterbruderschaft St. Petrus ein ganz neues Seminar für 9 Millionen Dollar, um den Zustrom von Berufungen zu bewältigen, den sie erhält. Das ist ein ungeheurer Glaubensakt von seiten Pater Bisigs, für den er unsere Dankbarkeit und unsere Unterstützung verdient.

Im Namen der Internationalen Una Voce Föderation würde ich Eure Eminenz bitten, Ihren Einfluß bezüglich folgender Vorschläge geltend zu machen:

Die weite und großzügige Umsetzung des Motu proprio "Ecclesia Dei" würde sichergestellt durch die Verwirklichung der dritten Empfehlung der 1986er Kardinalskommission, daß jeder Priester das Recht hat, zwischen den Meßbüchern von 1962 und 1970 zu wählen, wenn er die Messe auf Latein zelebriert. Die Kommission "Ecclesia Dei" sollte energisch einschreiten, wenn die höflichen Anträge der Gläubigen von deren Bischöfen abgelehnt werden. Wo immer möglich, sollten überregionale Pfarreien (Personalgemeinden) errichtet werden, wenn es eine ausreichend große Anzahl von Gläubigen gibt, die den 1962 in Gebrauch befindlichen Büchern verbunden sind, um die Berücksichtigung ihrer gerechtfertigten Wünsche sicherzustellen. Allen Gläubigen, die diese verlangen, sollten die Sakramente nach den 1962 in Gebrauch befindlichen Büchern gespendet werden. Eine Personalprälatur - wie sie dem Opus Dei gewährt wurde - sollte eingerichtet werden, um im Namen der vielen traditionellen Priester- und Ordensgemeinschaften zu handeln, die heute wachsen, sowie in Vertretung der großen Anzahl von Laien und Diözesanpriestern, die Zugang zu den liturgischen Büchern von 1962 in voller Einheit mit dem Heiligen Stuhl wünschen. Die Erfüllung dieser Bitten würde, dessen bin ich mir sicher, der Kirche einen großen Dienst erweisen sowie einen wichtigen Faktor darstellen, um den derzeitigen katastrophalen Rückgang des Meßbesuchs in der gesamten westlichen Welt zu stoppen.


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Bemerkungen zur Situation

der klassischen römischen Liturgie von Prof. Spaemann

Aufgrund unvollständiger Information mußte Prof. Spaemann seinen Beitrag am 24. Oktober 1998 improvisieren. Wir veröffentlichen hier die nachträgliche Niederschrift.

I.

Die gegenwärtige liturgische Situation in der lateinischen Kirche ist gekennzeichnet durch eine Anomalität. Das 2.Vatikanische Konzil hatte mit einer Mehrheit von 99,98% - darunter auch der Stimme des Erzbischofs Lefebvre - eine Konstitution über die heilige Liturgie beschlossen. Darin wurden eine behutsame "Revision der liturgischen Bücher" verlangt und Gesichtspunkte für diese Revision formuliert. So sollte zum Beispiel der Landessprache ein gewisser Raum gegeben werden im Wortgottesdienst. Gedacht war wohl in erster Linie an die Lesungen. Einige Anordnungen waren übrigens nicht immer widerspruchsfrei, so z.B. wenn einerseits gesagt wird, jeder Änderung müßten "jeweils gründliche theologische, historische und pastorale Untersuchungen vorausgehen" und andererseits, die Revision solle "baldigst" stattfinden. Die zweite Bestimmung hat man ernst genommen, die erste einfach ignoriert. Wichtige Ergebnisse der liturgiegeschichtlichen Forschung und der religionswissenschaftlichen Reflexion ergaben sich erst in den Jahren nach dem Konzil, und einer der leidenschaftlichsten Befürworter radikaler Reformen, Pater Angelus Häußling schreibt ganz offen, daß, wenn das Konzil 10 Jahre später stattgefunden hätte, die Reform gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Eine revidierte römische Liturgie existierte dann tatsächlich wenige Jahre, nämlich von 1965 bis 1970. In einem Schreiben an die Mönche von Beuron, das als Vorwort dem "Schott-Meß-buch" von 1965 vorangestellt wurde, erklärte der damalige Kardinalstaatssekretär, hier handle es sich nun um die vom Konzil geforderte Reform. Man muß ja bedenken, daß, wie Kardinal Ratzinger sagte, die Forderungen des Konzils in Ländern wie Frankreich und Deutschland längst schon vor dem Konzil erfüllt waren. So die Forderung nach der "aktiven Teilnahme" der Gläubigen, die darin bestehen sollte, daß "die Christgläubigen die ihnen zukommenden Teile des Meßordinariums lateinisch miteinander singen oder sprechen können" (S.C.54). 1962 konnten die Gläubigen das. Heute können sie es meistens nicht mehr. Das ist die Realität. Übrigens wurde auch im Priesterseminar des Erzbischofs Lefebvre die revidierte Liturgie von 1965 eingeführt. Bald darauf aber wurde sie von der Kirche fallengelassen und durch den Novus Ordo Missae abgelöst, der, wie inzwischen kaum mehr bestritten wird, keine Revision des alten, sondern einen neuen Ritus darstellt. Dieser Ritus erfüllt einige seit langem gehegte Wünsche in der Kirche, in anderen wesentlichen Hinsichten widerspricht er ausdrücklichen Weisungen des Konzils. Infolgedessen wurde er auch nur von einer Minderheit der Bischofssynode gebilligt, die eigens anläßlich seiner ersten Zelebration nach Rom berufen worden war. Dennoch - er wurde von der rechtmäßigen Autorität eingeführt und an seiner Gültigkeit wie an seiner Legitimität kann kein Zweifel bestehen, vorausgesetzt, er wird wirklich nach den Büchern der Kirche gefeiert, was in meinem Land leider nicht immer der Fall ist. Da die Revision des klassischen römischen Ritus von 1965 fallen gelassen wurde, noch ehe sie in einem Missale förmlich verbindlich gemacht war, und da es andererseits dem Wesen der Kirche und den feierlichen Erklärungen des Konzils widersprechen würde, einen legitimen Ritus der Kirche kurzerhand auszulöschen, ergab sich, daß der klassische römische Ritus nun in seiner letzten offiziellen Gestalt, nämlich in der des Missale Johannes' XXIII von 1962 fortexistiert, wenn auch unter den bekannten, immer noch diskriminierenden Bedingungen. Das Missale von 1962 ist die heute gültige Gestalt dieser Liturgie. Auf sie sind diejenigen verpflichtet und zum Festhalten an ihr sind sie berechtigt, die sich der alten Liturgie verbunden fühlen und die ich jetzt einfachheitshalber "Traditionalisten" nenne.

II.

Das bedeutet nicht, daß die Traditionalisten aus der alten Liturgie ein Museum machen und diese Liturgie in ihrem Entwicklungszustand von 1962 für alle Zeiten einfrieren wollen. Das würde mit größerer Sicherheit das Ende dieser Liturgie bedeuten, als alle Versuche zu ihrer Unterdrückung. Die "Revision der Bücher" dieser Liturgie, die das Konzil verlangt hat, steht ja, nach dem abgebrochenen Versuch von 1965 noch aus. Der Versuch von 1965 war übrigens keineswegs in jeder Hinsicht gelungen. Schon das nur noch einmalige gemeinsame Confiteor war ein Fehler. Wie kann ich jemanden bitten, "für mich zu beten bei Gott unserem Herrn", wenn da gar niemand zuhört sondern der oder die, denen ich meine Sünden bekenne, im gleichen Augenblick die seinen mir bekennen und mich bitten, für sie zu beten? Wie das möglich sein soll, bleibt mir ein Geheimnis. Aber die Möglichkeit, daß die Christen der lateinischen Kirche nun wieder, wie ihre östlichen Brüder, Leib und Blut des Herrn, - bei besonderen Gelegenheiten - unter beiden Gestalten empfangen können, wie es der Form der Einsetzung dieses Sakraments entspricht, das scheint mir die wichtigste und schönste Entscheidung der Liturgiekonstitution zu sein, die in eine Revision der klassischen Liturgie unbedingt eingehen müßte. Wie jede wahre Reform handelt es sich hier um eine Restauration, die eine Entwicklung korrigiert. Wichtig scheint mir, daß eine solche Weiterentwicklung der klassischen römischen Liturgie drei Bedingungen genügt:

1. Sie muß behutsam sein und immer dem Prinzip entsprechen, das das 2.Vatikanische Konzil formuliert hat und das in der Liturgiereform ignoriert wurde: "Es sollen keine Neuerungen eingeführt werden, es sei denn, ein wirklicher und mit Sicherheit zu erhoffender Nutzen der Kirche verlange es." - Wohlgemerkt: nicht "erlaube es" sondern "verlange es"!

2. Die Weiterentwicklung darf nicht in der Form von Willkür und Beliebigkeit einzelner Priester und Gemeinden stattfinden. Viele Gläubige sind zur alten Liturgie zurückgekehrt, weil sie sich in der neuen der Willkür einzelner Priester und Pastoralassistenten ausgeliefert fühlen. Der Grund dafür liegt leider in den neuen liturgischen Büchern selbst. Diese Bücher sehen so viele Varianten vor - ich weiß nicht, wie viele Hochgebete z.B. bei uns heute tatsächlich erlaubt sind - daß die Gläubigen längst resigniert haben. Sie lassen über sich ergehen, was kommt, denn sie können gar nicht mehr beurteilen, ob das, was da gesprochen wird, ein Gebet der Kirche oder eine freie Erfindung des Pfarrers ist. Der Ritus ist nicht mehr das gemeinsame Haus für Priester und Volk sondern eine Darbietung des Priesters für das Volk, weshalb der Priester ja auch dem Volk gegenübersteht und nicht mehr an seiner Spitze. Wenn nun Gläubige dessen überdrüssig sind und sich der alten Liturgie zuwenden, wollen sie nicht auch nur ansatzweise dasselbe erleben. Außerdem sind sie, im Vergleich zu normaleren Zeiten, besonders, ja sogar manchmal übertrieben empfindlich. Aber gerade auf die Respektierung der Empfindlichkeit, der Sensibilität legt ja der Heilige Vater in seinem Motu proprio besonderen Wert.

3. Nun ist aber nicht zu erwarten und auch gar nicht zu wünschen, daß die höchste kirchliche Autorität eine Revision der alten liturgischen Bücher einfach von oben anordnet. Da die Träger dieser Autorität in der Regel gar nicht mehr mit der alten Liturgie leben, besitzen sie von sich aus dazu kaum die Kompetenz. Eine Reform der klassischen Liturgie kann deshalb nicht ohne die entscheidende Mitwirkung und Vorbereitung durch Christen, insbesondere Priester und Ordensleute, gelingen, die mit dieser Liturgie leben und aus ihr sich geistlich ernähren. Die Vorbereitung einer solchen Revision kann deshalb sinnvollerweise nur in Klöstern geschehen, und zwar in einem Rahmen, der durch die höchste kirchliche Autorität abgesteckt und bewilligt ist. Keinesfalls aber kann der eine Bischof diese Änderung verlangen und ein anderer jene. Das Missale Romanum von 1962 bleibt das verbindliche liturgische Buch, bis der Heilige Stuhl es für richtig hält, eine neue Edition zu verfügen. Durch eine solche würde allerdings dann der klassische römische Ritus seinen endgültig anerkannten Platz in der Katholischen Kirche zurückgewonnen haben.

III.

Ich möchte hier eine kurze Bemerkung zum Latein in der römischen Liturgie machen. Das Konzil hat verlangt, daß Latein die Liturgiesprache der westlichen Kirche bleibt. Diese Forderung gehört zu denen, die nur dort erfüllt werden, wo die alte Liturgie gefeiert wird. Das geht so weit, daß die amerikanische Vereinigung für die alte Liturgie "Latin mass society" heißt, obgleich doch die neue Messe auch auf Lateinisch gefeiert werden kann. Aber da dies fast nirgendwo geschieht, assoziiert man Latein einfachhin mit der alten Liturgie. Nun ist zwar das Latein nicht das Wichtigste in dieser Liturgie, und vor die Alternative gestellt, z.B. die alten Offertoriumsgebete in der Landesprache beten zu müssen oder sie gar nicht, die neue Messe aber auf lateinisch beten zu dürfen, wäre die Entscheidung für die alten Gebete wohl klar. Zum Glück stellt uns niemand vor eine solche Alternative. Wir halten am Latein fest. Die Kirche ist, wie das letzte Konzil so stark betont, ein Volk, das heilige Volk Gottes, wie es in der alten Karfreitagsliturgie heißt. Was ist ein Volk ohne eine gemeinsame Sprache? Die Juden haben, wenn sie die Heilige Schrift lesen, eine gemeinsame Sprache in der ganzen Welt. Die Moslems haben ihre sakrale Sprache. Unser Herr hat noch am Kreuz den Psalm "Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen", nicht in seiner aramäischen Muttersprache sondern in der hebräischen Kultsprache gebetet. Vor einer Woche war ich in Südfrankeich bei einer Wallfahrtsmesse anläßlich eines Patroziniums. Ein Chor sang eine spanische Messe aus Südamerika und einige englische Lieder. Der Pfarrer erläuterte diesen Gesang mit Hinweis auf die Universalität der Kirche. Hätte der Chor lateinisch gesungen, dann hätten Spanier, Engländer und auch ich mitsingen können. Wo liegt hier der Gewinn? Unvergeßlich ist mir, wie ein Moskauer Kollege, Professor für Informatik, zur katholischen Kirche konvertierter Jude, mir in einer Winternacht gegenüber der Lubjanka, dem alten Gebäude des NKWD, einen kleinen Park zeigte mit einem riesigen Felsbrocken aus Sibirien, Denkmal der Millionen Toten des Gulag. Er zog den Hut und begann: "Angelus Domini nuntiavit Mariae", und ich fuhr fort: "et concepit de Spiritu Sancto". Wir gehörten zum selben Volk. Als der heilige Vater vor einiger Zeit in Chile war und das Priesterseminar von Santiago besuchte, begann er, als die Uhr zwölf schlug: "Angelus Domini nuntiavit Mariae." Niemand von den Seminaristen antwortete. Sie konnten es nicht. Sie hatten die gemeinsame Sprache verloren. In Wigratzbad hätte der heilige Vater weiterbeten können.

IV.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen zu der Frage, was wir Bischöfen sagen können, die uns die alte Liturgie und die mit ihr verbundene religiöse Praxis verweigern. Ich denke hier vor allem an Eltern. Denn bekanntlich sind es besonders junge Eltern, die die alte Liturgie als Heimat für sich und ihre Kinder suchen. Warum? Weil sie ein Hort der Rechtgläubigkeit, der Bewahrung des apostolischen Erbes ist. Diese Bemerkung kann mißverstanden werden. So als ob es nicht viele rechtgläubige, fromme Priester gäbe, die die neue Liturgie feiern und sie sogar lieber feiern als die alte. Da der heilige Vater sie feiert, erübrigt sich in dieser Hinsicht jedes Wort. Und doch: landauf landab wird der katholische Glaube in der Kirche, in Liturgie und Predigt immer wieder infrage gestellt. Es wird geleugnet, daß die heilige Messe ein Opfer ist, ja daß der Tod unseres Herrn ein Opfer war. Es wird geleugnet, daß Jesus von einer Jungfrau geboren wurde. Es werden Homosexuellenmessen gefeiert, wo im übrigen gar kein Buch der Kirche mehr zu sehen ist und als Kommunion Knäckebrotscheiben verteilt und gemächlich aufgefuttert werden. Es findet Erstkommunionunterricht statt, an dessen Ende kaum ein Kind weiß, daß das, was es hier empfängt, der Leib Chrisi ist. Wenn Feste wie Mariä Empfängnis oder Lichtmeß auf einen Montag fallen, finde ich in meiner Umgebung keine Pfarrkirche, wo überhaupt eine heilige Messe gefeiert wird. Der "blaue Montag" verdrängt offenbar auch Hochfeste der Kirche. All das aber geschieht nie dort, wo die alte Liturgie gefeiert wird. Nun kann man als Laie natürlich auf die Suche gehen, bis man eine Kirche gefunden hat, wo man sicher ist, daß nicht nur der Kaplan sondern auch der Pfarrer keine häretische Predigt hält. Nur - Eltern können nicht dauernd herumsuchen. Sie brauchen, vor allem für ihre Kinder, Sicherheit, Stabilität, Heimat. Bischöfe berufen sich auf ihr Recht, den Gottesdienst in ihrer Diözese zu regeln.

Aber es gibt nicht nur das Recht der Bischöfe. Es gibt auch ein göttliches Recht der Eltern, das der Bischof bei der Ausübung seines Rechtes zu respektieren hat. Sein Recht ist nicht ein Recht zur Willkür. Es gibt ein göttliches Recht der Eltern, ein Recht und eine Pflicht die ihnen kein Priester, kein Bischof und kein Papst nehmen kann, ihre Kinder im katholischen Glauben zu erziehen. Sie haben das Recht und die Pflicht, ihr Kind vom offiziellen Religionsunterricht abzumelden und es einem rechtgläubigen Priester zum Unterricht anzuvertrauen, wenn nur so die Weitergabe des ganzen katholischen Glaubens gewährleistet ist. Und wir alle wissen, daß es sich hier nicht um Ausnahmefälle handelt. Noch einmal: nicht nur im Umkreis der alten Liturgie gibt es Rechtgläubigkeit. Aber in diesem Umkreis gibt es sie bestimmt und zuverlässig. Und wo der Bischof Eltern diese Sicherheit nicht bieten kann, da ist es seine Pflicht als Hirte, das göttliche Recht und die göttliche Pflicht der Eltern zu respektieren und die Priester wirken zu lassen, um die die Eltern bitten. Ich spreche hier von Mißständen. Der Fortbestand der alten Liturgie lebt nicht von den Mißständen im Umkreis der neuen. Wir freuen uns über jede würdige Feier der neuen Liturgie. Oft ist es sogar die Begegnung mit der alten, die der Feier der neuen zugute kommt. Wo aber die Mißstände verbreitet sind, da gibt es ein zusätzliches Motiv, die Erlaubnis zur alten Liturgie und zum Leben in ihrem Umkreis so kategorisch zu fordern wie die Witwe im Evangelium ihr Recht von dem ungerechten Richter. Da uns diese Witwe von unserm Herrn als Vorbild für unseren Umgang mit dem himmlischen Vater empfohlen wird, kann es nicht ungebührlich sein, sich ihrer notfalls auch im Umgang mit seinen Stellvertetern zu erinnern. Vor Jahren schrieb mir der Apostolische Nuntius meines Landes im Zusammenhang mit meinem Engagement für die Verwirklichung des Motu proprio "Ecclesia Dei", man könne doch auch die neue Liturgie schön und würdig feiern. Ich antwortete ihm damals, daß ich dies gar nicht bezweifelte. Ich selbst feierte oft genug die heilige Messe im neuen Ritus mit. Aber ich bat den Nuntius um die Freundlichkeit, den katholischen Gläubigen eine Liste derjenigen Kirchen zukommen zu lassen, in denen die Gewähr gegeben sei, daß Pfarrer und Kaplan die heilige Messe nach den Büchern der Kirche feiern und daß keine offenkundig häretischen Predigten gehalten werden. Natürlich schickte mir der Nuntius eine solche Liste nicht. Erstens kann er es nicht, weil er die nötigen Informationen gar nicht besitzt. Zweitens will er es nicht, weil er alle Kirchen, die nicht auf dieser Liste stehen, diskriminieren würde. So schrieb er mir statt dessen, daß er alles, was in seiner Macht stehe, tue, um die Bischöfe zur Großzügigkeit gegenüber Gesuchen zur Genehmigung der klassischen römischen Liturgie zu bitten. Darauf hatte ich gehofft. Und ich möchte anregen, daß andere Katholiken, insbesondere Eltern dort, wo die Dinge ähnlich liegen, an ihre Bischöfe in ähnlichem Sinne schreiben. Wo der Bischof nicht imstande ist, ihnen hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit des Ritus und der Rechtgläubigkeit der Verkündigung Garantien zu geben, da muß er die Feier der Liturgie, um die wir bitten, durch die Priester, um die wir bitten, erlauben. Denn was wir erbitten, ist nichts anderes als das, was wir oder unsere Paten erbeten haben, als uns der Priester vor der Taufe fragte: "Was verlangst du von der Kirche Gottes?" Die Antwort lautete: "Den Glauben." Der neue Taufritus sieht diese Antwort leider nicht mehr vor, - wegen welches "wirklichen und mit Sicherheit zu erwartenden Nutzens" weiß ich nicht. Man hat es uns nicht erklärt. Aber der Glaube ist nach wie vor das, was wir von der Kirche Gottes verlangen.


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Äußerungen von Kardinal Joseph Ratzinger nach den verschiedenen Redebeiträgen

Im folgenden geben wir seine Stellungnahme in Auszügen wieder. (Quelle: 30 Tage)

[ ... ] Zwischen Dom Gérards und Michael Davies’ Position und meiner Position besteht ein gewisser Unterschied. Beide unterbreiten im wesentlichen rechtliche Lösungsvorschläge: Welche Maßnahmen ermöglichen es den Gläubigen, die es wünschen, eine stärkere Stellung zu erlangen und dem zuständigen Dikasterium, das heißt der Kommission "Ecclesia Dei", einen größeren Einfluß zu verschaffen? All dies ist sehr wichtig [ ... ].

Ich habe diese Schwierigkeit nicht angesprochen (gemeint ist die Frage der tatsächlichen Anwendung des Motu proprio "Ecclesia Dei"), weil ich meine, daß auch die andere Dimension zu berücksichtigen ist. Aus meiner Erfahrung bei der Kongregation, deren Präfekt ich bin, weiß ich, daß man mit rein rechtlichen Maßnahmen letzten Endes doch nicht zu den Ergebnissen kommt, die man sich erwartet hat, wenn nicht gleichzeitig auch eine Aufgeschlossenheit, Überzeugung und Gewißheit da ist, die gutwilligen Menschen die Gründe verständlich machen, warum man etwas wünscht.

[ ... ] Gewiß, man muß eine rechtliche Lösung suchen, aber man muß auch wissen, wie man am besten an die Bischöfe herantritt. Denn auch wenn sich einige von ihnen hart zeigen, wenn einige von ihnen, wie Prof. Spaemann sagte, ihr freies Ermessen mißbrauchen und die Rechte der Gläubigen nicht achten, so sind sie dennoch keine böswilligen Menschen. Es handelt sich vielmehr um eine kulturelle, geistliche Situation, um eine bestimmte Erziehung, um eine bestimmte Ausbildung. Sie machen es ihnen nicht möglich, die Notwendigkeit und den Grund zu sehen, warum sie die Feier im alten Ritus erlauben sollen. Sie besitzen eine Erziehung und Ausbildung, wonach die Frage bereits beantwortet ist. Wirft man die Frage erneut auf, stellt sie eine Bedrohung der Einheit und vor allem des ökumenischen Konzils dar, das von allen Gläubigen zu recht im Gehorsam anzunehmen ist. Diese Mentalität, diese Erziehung hat nicht nur Bischöfe, sondern auch weite Teile der Gläubigen geprägt. Aus diesen Gründen ist es für sie unmöglich, rechtliche Maßnahmen zu akzeptieren, die nicht äußerst gut vorbereitet sind. Und dies ist der eigentliche Grund, warum der Heilige Vater mit neuen rechtlichen Maßnahmen zögert. Er sieht, daß die Weitherzigkeit dafür noch nicht vorhanden ist und die Fähigkeit fehlt, zu verstehen, daß diese Frage dem Konzil, der Einheit der Kirche und der Pfarrei nicht widerspricht. Diese Verständnisschwierigkeit ist keine Böswilligkeit, sondern eher Bildung.

[...] Aufgrund meiner Erfahrung bin ich überzeugt, daß wir alles mögliche tun müssen, um eine neue Generation von Amtsträgern zu bilden [anhaltender Beifall der anwesenden Pilger], die zu der Erkenntnis in der Lage sind, daß es sich nicht um einen Angriff auf das Konzil handelt, sondern um die getreuere Verwirklichung dessen, wie ich zu sagen wage, was sich als Verwirklichung des Konzils darstellt, um die Worte von Professor Spaemann zu gebrauchen. Wir müssen daher Herz und Geist aus dem Traum der Konzilsverwirklichung wachrütteln und den gutwilligen Priestern und Bischöfen zur Einsicht helfen, daß die Liturgiefeier nach den alten Texten kein Obskurantismus ist. Es handelt sich nicht um übertriebenen Traditionalismus, der es ablehnt, mit der Kirche von heute und morgen zusammenzuleben, der nicht den Weg der Kirche, die ja ein lebendiger Organismus ist, mitgehen möchte. Es handelt sich nicht um Obskurantismus, denn dies wäre einfach Rückkehr zur Vergangenheit, sondern vielmehr um den wirklichen Wunsch, in der gewärtigen Kirche die Treue zu bewahren und Gehorsam zu üben.

[ ... ] Ich denke, daß wir unsere Argumente vertiefen müssen, um die eigentlichen Absichten des Konzils zu erkennen, die eigentlich nicht auf die Reform des Textes zielten, sondern eher auf die Gemeinschaft, die im Gebet, im Dialog des Leibes Christi mit seinem Haupt, im Dialog der Kirche mit ihrem Herrn lebt. In diesem Sinn akzeptiere ich völlig, was hier gesagt worden ist. Dennoch denke ich, daß ein Werk der Erziehung und der Sensibilisierung auch bei uns selbst hilfreich ist, um die anderen besser zu verstehen und eher in der Lage zu sein, sie in einer Frage von vorrangiger Bedeutung zu überzeugen [ ... ].


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Interview mit Joseph Kardinal Ratzinger

Kein Dokument über "Ecclesia Dei" in Aussicht

Am Rande der Veranstaltung anläßlich des zehnjährigen Bestehens von "Ecclesia Dei", hat Kardinal Ratzinger "30 Tage" ein Kurzinterview gewährt.

Eminenz, Sie haben mehrmals die Konzilstexte zitiert. Wollen Sie damit sagen, daß die Durchführung der Liturgiereform nicht dem Geist und dem Buchstaben des Konzils entsprach?

KARDINAL RATZINGER: Feiert man die heilige Messe wirklich nach dem Meßbuch Pauls VI., ist man treu. Problematisch sind nur die große Kreativität, die große Willkür, die das Wesen der heiligen Messe entstellen. Die Treue kommt in dem Buch zum Ausdruck, das Papst Paul VI. wollte, sie muß aber in der lebendigen Gemeinde und in der lebendigen Feier konkret werden, und hierin liegt das Problem, vielleicht nicht in erster Linie in Italien, sondern anderswo.

Sie sagten den Pilgern, sie sollten Geduld haben. Es steht also kein Dokument über eine breitere Anwendung des Indults in Aussicht?

KARDINAL RATZINGER: Nein, ich glaube nicht. Vor jeder rechtlichen Maßnahme ist das gegenseitige Verständnis wichtig. Wir müssen verstehen, daß wir zur selben Kirche gehören und daß die Riten ihrem Wesen nach identisch sind. Nur wenn man sich wieder versteht und weitherzig ist, kann eine rechtliche Maßnahme Sinn haben.

Welche Bedeutung hat Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung?

KARDINAL RATZINGER: Zu zeigen, daß wir wirklich an der Gemeinschaft der Kirche teilhaben, daß das nicht irgendeinen Ungehorsam gegenüber dem Papst darstellt, sondern eine der Möglichkeiten in der Vielfalt der Glaubensäußerungen in der Kirche. Unsere Teilnahme ist demzufolge ein Reichtum der Kirche und auch ein Element, das seinen richtigen und berechtigten Platz in der Kirche hat.

Kann so auch die lefebvrianische Krise überwunden werden?

KARDINAL RATZINGER: Das hoffen wir immer.


 
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